FOKUS Wissenschaft

Ernährungsforschung verstehen (01 | April 2022)

In der ersten Ausgabe des „FOKUS Wissenschaft“ erläutert Dr. oec. troph. Sandra Habicht, Institut für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, welche Typen von Ernährungsstudien es gibt und welche Aussagen anhand ihrer Ergebnisse getroffen werden können.

Verschiedene Studientypen und ihre Charakterisierung

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind so bunt wie unsere Ernährung: Wichtig ist, sie richtig verstehen und einordnen zu können. Unzählige Ernährungskonzepte, Lebensmittelgruppen und Nährstoffe werden – auch in der Ernährungsforschung – als Lösung für Gesundheitsprobleme diskutiert und in Studien untersucht. Doch Studienergebnisse können in vielen Punkten widersprüchlich sein. Welche Typen von Ernährungsstudien es gibt und welche Aussagen anhand ihrer Ergebnisse möglicherweise getroffen werden können, ist Thema dieses Beitrags.

Deskriptive Beobachtungsstudien

Bei diesem Studientyp werden Gesundheitsdaten sowie ein oder mehrere Faktoren des Lebensstils der Probandinnen und Probanden „beobachtet“, also abgefragt, aber nicht von der Studie vorgegeben. Zu den deskriptiven Studien gehören die Fallbeschreibungen (engl. case studies), die sich für die Erforschung sehr seltener Erkrankungen eignen, sowie Querschnittstudien (engl. cross-sectional studies). Diese erfassen den Anteil der untersuchten Studienpopulation mit einer bestimmten Erkrankung oder einem bestimmten Lebensstilfaktor zu einem einzigen Zeitpunkt. Prävalenzen von Erkrankungen oder Daten wie der Vitamin-D-Status einer Bevölkerung können so untersucht werden. Führt man sie in unterschiedlichen Regionen durch, können regionale Unterschiede ermittelt werden. Auch lassen sich Querschnittstudien aus unterschiedlichen Jahren vergleichen und zeitliche Entwicklungen näherungsweise betrachten. Werden verschiedene Parameter erhoben, können diese als Korrelation miteinander in Beziehung gebracht werden, das lässt aber keine kausalen Aussagen zu.

Analytische Beobachtungsstudien

Beobachtungsstudien können retrospektiv sein und Informationen aus der Vergangenheit erheben oder prospektiv, d. h. in die Zukunft blickend. Kohortenstudien (engl. cohort studies) sind prospektive analytische Beobachtungsstudien mit einer Betrachtung der zukünftigen Erkrankungsmanifestation. Dieser Studientyp wird auch Längsschnittstudie genannt, da mindestens zu zwei Beobachtungszeitpunkten Erhebungen stattfinden.

Bei Kohortenstudien werden gesunde Probandinnen und Probanden nach Lebensstilfaktoren in Kohorten eingeteilt und über einen definierten Zeitraum beobachtet. Von Interesse sind die Häufigkeiten klinischer Endpunkte (engl. outcome), z. B. bestimmte Erkrankungen in den jeweiligen Kohorten. Je länger die Beobachtungsdauer, je homogener die Gruppen und je größer der erwartete Effekt, desto eher sind Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit zwischen den Kohorten zu erwarten.

Die Fall-Kontroll-Studien (engl. case control studies) verfolgen einen anderen Ansatz. Bei diesen Studien werden z. B. Personen mit Erkrankung (Fälle) und ohne Erkrankung (Kontrollen) nach Lebensstilfaktoren in der Vergangenheit befragt. Dieser Studientyp zählt daher zu den retrospektiven Studien. Um Zusammenhänge richtig darzustellen sollten Störfaktoren (engl. Confounder) untersucht und in die Analyse einbezogen werden.

Interventionsstudien

Hier erhalten Probandinnen und Probanden entweder eine Kontroll-Behandlung (meist ein Placebo) oder die zu untersuchende Behandlung (Intervention), z. B. eine Supplementation. Es gibt Interventionsstudien mit ein, zwei oder mehr Armen/Behandlungsgruppen oder z. B. mit oder ohne Cross-over-Design. Bei einem Cross-over können Probandinnen und Probanden erst die eine und dann die andere Behandlung erfahren. Jeder ist dadurch seine eigene Kontrolle, aber es bedarf einer passend langen Auswaschphase (engl. wash-out) zwischen den Behandlungen.

Als Goldstandard unter den Interventionsstudien gelten die randomisiert-kontrollierten Studien (engl. randomized controlled trials, RCT). Das sind Studien mit zufälliger, also randomisierter Zuordnung der Probandinnen und Probanden in verschiedene Arme, von denen eine die Kontrollgruppe darstellt. Eine Studie gilt als verblindet, wenn die Probandinnen und Probanden nicht wissen, in welche Gruppe sie eingeteilt worden sind. Wenn das zusätzlich auch die Untersucher nicht wissen, ist die Studie doppel-blind. Mit diesem Design lässt sich die Wirkung einzelner Nahrungskomponenten auf die Gesundheit gut untersuchen.

Bei Interventionsstudien wird die zu erforschende Behandlung bei einer Gruppe von Probandinnen und Probanden für einen definierten Zeitraum durchgeführt. Verglichen werden anschließend nicht nur Gesundheitsparameter, sondern auch, wie sich die Werte und die Veränderungen bei der Interventions- von denen der Kontrollgruppe unterscheiden. Ob eine mögliche oder postulierte Wirkung der Intervention in einer solchen Studie nachgewiesen werden kann, hängt u. a. von den gewählten Zielkriterien oder Endpunkten und der Studiendauer ab. Eine große Rolle spielen auch Confounder und die Compliance. Ein Merkmal für die Qualität einer klinischen Studie kann sein, an wie vielen Standorten, Studienzentren oder Kliniken sie durchgeführt wurde.

Reviews und Meta-Analysen

Auf der Suche nach Antworten zu einer bestimmten Forschungsfrage sollten immer mehrere Studien unterschiedlichen Typs betrachtet werden, und es sollte einen plausiblen ernährungsphysiologischen/biochemischen Ansatz z. B. aus Tier- und Zellstudien oder der Grundlagenforschung geben. In der Wissenschaft werden Ergebnisse mehrerer oder vieler Studien in Form von narrativen oder systematischen Reviews sowie Meta-Analysen zusammengetragen. Darüber hinaus gibt es auch die Form des Umbrella-Reviews.

Was sich jeweils dahinter verbirgt, lesen Sie in der Langfassung der ersten Ausgabe von FOKUS Wissenschaft, die hier zum Download bereitsteht:

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